Leila Šeper (35) nennt sich selbst eine „arbeitslose Aktivistin, Feministin und Brauerin“. Sie lebt in Sarajevo und Banja Luka, ist dort in informellen Gruppen aktiv und braut ihre eigenes „Schwestern“- Bier. Bei den nächsten Parlamentswahlen möchte sie als unabhängige Kandidatin antreten.
Was hältst du von den Politiker/innen in deinem Land?
Leila Šeper: Die Machthabenden in Bosnien sind gut organisiert, und verhalten sich wie die Mafia. Sie kontrollieren eigentlich jeden Aspekt unseres Lebens. Und gleichzeitig erlauben sie uns nicht, ihre Verantwortlichkeit einzufordern. Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir selbst nicht wirklich die Möglichkeit haben etwas zu ändern. Die Politiker/innen reden zwar manchmal darüber, was in unserem Land nicht richtig funktioniert, die Frage nach der eigenen Verantwortung dafür stellen sie aber gar nicht erst. Diese politische Mafia denkt nur an ihre eigenen Interessen und treibt Privatisierungen unter dem Slogan der öffentlich-privaten Partnerschaft voran. Sie tun wenig dafür, dass sich hier auch kleinere Unternehmen entwickeln können.
Das ganze Geld von der Internationalen Gemeinschaft fließt hauptsächlich in die Gehälter unserer Politiker/innen und in ihre Bürokratie, uns Bürger/innen bringt es nichts. Stattdessen habe ich Angst, dass meine Generation und die nachfolgende dieses Geld irgendwann zurückzahlen muss.
Die Internationale Gemeinschaft hat großen Einfluss auf die bosnische Politik. Ich glaube was sie tut, ist komplett falsch. Die EU beispielsweise sehe ich eher als Partner dieser politischen Mafia an und nicht als Partner der Bürger/innen. Die Internationale Gemeinschaft sollte darauf bestehen, Frauen in Entscheidungsprozesse einzubinden, aber ich sehe keinerlei Anstrengungen in diese Richtung.
Glaubst du, dass es eine Lösung für die politischen und wirtschaftlichen Probleme gibt?
Natürlich! Wir müssen uns endlich selbst organisieren, unsere eigenen kleinen Unternehmen gründen und so wenigstens finanzielle Unabhängigkeit erlangen. Durch soziales Unternehmertum können wir andere Menschen einbeziehen, die auch durch das gegenwärtige System benachteiligt werden.
Seit kurzem denke ich darüber nach, selbst in die Politik zu gehen als unabhängige Kandidatin bei den nächsten Parlamentswahlen. Es gibt keine Partei, die auch nur annährend meine Ideen repräsentieren könnte. Außerdem sind eigentlich alle Parteien korrupt. Unabhängig zu kandidieren heißt aber nicht, Einzelkämpferin zu sein. Wir müssen in kleinen Teams arbeiten, vielleicht zehn oder 15 Leute, und gemeinsam eine Person bestimmen, die sich dann aufstellen lässt und unsere Vorstellungen formal vertritt. Alle Entscheidungen sollten aber in der Gruppe zusammengetroffen werden.
Die Menschen in „meiner“ kleinen Gruppe sind vor allem Aktivist/innen, die sich mit Themen wie schwindendem öffentlichem Raum und sozialer Gerechtigkeit beschäftigen. Innerhalb dieser Themen können wir dann auch darüber diskutieren, wie sich Frauen besser beteiligen können. Und wie sie eigene kleine Unternehmen gründen können.
Siehst du in alternativen Wirtschaftsformen die Möglichkeit etwas zu verändern?
Ja, ich denke vor allem viel über kleine Kooperativen nach. In ihnen können wir an unserer Solidarität arbeiten. Denn wenn wir nicht untereinander solidarisch sind, funktioniert gar nichts. Mich beschäftigt die Frage, wie man in so einem unfreundlichen Umfeld wie dem in Bosnien-Herzegowina eigentlich wirtschaftlich überleben kann. Es geht für mich viel darum, neue Wege zu finden und unfaire Regeln zu umgehen.
Du braust selber Bier, siehst du dich damit als eine Art Vorbild für kleines Unternehmertum?
Ich kam zum Bierbrauen, weil ich ein bisschen Kontinuität gebraucht habe, nachdem ich mich Jahre lang nur in aktivistischen Kreisen bewegt habe. Vor eineinhalb Jahren hat die bosnische Selbstbrau-Gemeinschaft festgestellt, dass es keine Frauen in ihrer Gruppe gibt und aktiv nach Frauen gesucht, zu meinem Glück. Anfangs haben wir noch gemeinsam gebraut, jetzt mache ich eigentlich alles selbst. Es gibt zwar auch noch andere Frauen die brauen, aber dann immer zusammen mit ihren Partnern. Mein Projekt ist deswegen einzigartig, weil ich dessen Leiterin bin – und eine Frau.
Mein selbstgebrautes Bier heißt „sestra“, Schwester, und steht für Frauenfreundschaft und Feminismus. Das soll auch das Logo ausdrücken, denn ich glaube nicht daran, dass Bier nur etwas für Männer ist. Im Gegenteil, Frauen trinken auch Bier und ich möchte ein Bier brauen, das mit den Frauen „kommuniziert“. Meine Idee ist auch ziemlich erfolgreich, ich kann gar nicht genug brauen, so viele Leute fragen mich mittlerweile nach meinem Bier.
Die Fragen stellten Gudrun Fischer und Wiebke Nordenberg.